Realitätsverweigerung in der Rentenversicherung
Gemäß Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt (2022) sollen die Sonderzahlungen des Bundes an die Rentenversicherung im Jahr 2022 um 500 Millionen Euro aufgrund der stabilen finanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung gekürzt werden. Während dies zwar eine adäquate Maßnahme ist, wird, wie schon im gesamten Koalitionsvertrag (2021) der Ampel, das Thema der Alterssicherung viel zu stiefmütterlich behandelt. Neben dem Klimawandel ist die Bevölkerungsalterung einer der Megatrends, der uns insbesondere in den nächsten beiden Jahrzehnten beschäftigen wird. Die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Fragen wären viel leichter adressierbar, wenn rechtzeitig gehandelt würde.
Statt solchen Handelns sieht der Koalitionsvertrag jedoch vor, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung Beitragssatz, Rentenniveau und Renteneintrittsalter konstant bleiben sollen. Diese Politik setzt die verfehlte Politik des ehemaligen Finanzministers Scholz nahtlos fort. Die Rechnung kann aber aufgrund des demographischen Wandels, der seine Dynamik in wenigen Jahren voll entfaltet, nicht aufgehen.
Wie in Ludwig (2016) argumentiert, besteht in der Rentenversicherung bezüglich des Renteneintrittsalters eigentlich ein Nachholbedarf, da wir ja bereits seit mehr als 20 Jahren von den Problemen sprechen, sich aber wenig getan hat. Menschen leben länger, weil sie gesünder sind. Deswegen ist es natürlich im Sinne einer Generationengerechtigkeit, die Lebensarbeitszeit an die Restlebenserwartung ab Alter 65 zu koppeln. Die Indexierung der Renten an die Löhne sowie der demographische Faktor in der deutschen Rentenformel stellen darüber hinaus sinnvolle Mechanismen dar, eine faire Lastenverteilung zwischen Generationen zu erreichen.
Die Pläne der Ampelkoalition greifen hingegen durch die sogenannten Haltelinien fehl, da so das Rentensystem einer größeren Steuerfinanzierung bedarf. Schon jetzt sind die Subventionen erheblich und eine noch weitergehende Steuerfinanzierung wird die Transparenz des Systems aushöhlen und die Ineffizienzen erhöhen. Die Beschlüsse der Ampelkoalition sind damit gerade das Gegenteil einer ausgewogenen sozialdemokratischen Politik. Diese würde nämlich die Effizienz erhöhen und die gewonnenen Ressourcen zwischen den Generationen und innerhalb der Generationen gerecht verteilen.
Um den Finanzierungsproblemen der Rentenversicherung zu begegnen ist im Koalitionsvertrag angedacht, entstehende Vorsorgelücken durch die Anlage von 10 Mrd. Euro in einem staatlich organisierten Fonds zu schließen.[1] Da dieser Betrag gegeben die Bedürfnisse des Rentensystems viel zu klein ist[2] und zugleich die Dynamik des demographischen Wandels zu früh einsetzt als dass dieser Fonds implementiert ist und eine Rendite tragen wird, ist er für die in diesem Jahrzehnt auf uns zukommenden Probleme nicht geeignet.
Eine höhere Kapitaldeckung der Altersvorsorge kann durch die Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorgesysteme erreicht werden. Natürlich ist es darüber hinaus per se denkbar, dass der Staat zu günstigen Konditionen Kredite aufnimmt und dieses Kapital in eine Anlage mit höheren Kapitalrenditen investiert, also eine Leverage-Position eingeht. Eine stärkere Beteiligung am Kapitalmarkt könnte auch deshalb wünschenswert sein, weil Löhne und Kapitaleinkommen langfristig negativ korreliert sind, der Staat also darüber hinaus eine Hedging-Position einnehmen könnte. Jedoch habe ich große Bedenken bei der Vorstellung, dass eine staatliche Institution die Altersvorsorgevermögen verwaltet, auch wenn dies in kleineren Ländern wie Norwegen und Schweden der Fall ist. Zum einen müsste ein solcher Fonds neu geschaffen und mit einer entsprechenden Governance-Struktur versehen werden, zum anderen müsste im Grundgesetz verankert werden, dass der Staat keinen Zugriff auf die dort liegenden Vermögen hat.[3]
Warum aber sollte eine Institution neu geschaffen werden, die zusätzlich gegen eine zeitlich inkonsistente Politik immunisiert werden muss, wenn wir über einen gut durchdrungenen kompetitiven Versicherungsmarkt verfügen? Wenn eine Staatsbeteiligung gewünscht ist, könnte der Staat je Erwerbstätigen einen über Schulden finanzierten Betrag auszahlen, der dann seitens der Privathaushalte in eine private Kapitalanlage investiert werden muss. Ein Default-Produkt hierfür kann von einem Konsortium der deutschen Versicherungswirtschaft angeboten werden, und es wären alle Versicherungsunternehmen nach Marktanteil daran beteiligt. So wären die Risiken über Unternehmen diversifiziert. Sollte eine Person ein anderes Produkt wünschen, so wäre ein Umstieg leicht möglich; durch Auswahl auf einer Plattform, auf der entsprechende standardisierte Alternativen angeboten werden. Transaktionskosten eines solchen Systems wären sehr gering.
Ein ähnliches Design ließe sich installieren, sollte man sich gegen Zuschüsse des Staates entscheiden. Eine Ablösung der Riester- und Rürup-Subventionen durch die Einführung eines Mandatoriums und eine entsprechende Ersparnisbildung in dem dargestellten Konstrukt würde zu niedrigen Transaktionskosten die Finanzierung der Rente stärken.
Schließlich kann der Gefahr, dass bei einer Rückkehr zur Rentenformel und der damit bedingten Absenkung des durchschnittlichen Rentenniveaus am unteren Ende der Einkommensverteilung mehr Personen in Altersarmut rutschen, durch die Einführung einer steuerfinanzierten und nicht konditionierten Grundrente begegnet werden, siehe hierzu Geyer et al. (2021).
Literatur
Geyer, J., P. Haan und A. Ludwig (2021): „Mindestrente: Absicherung gegen Altersarmut und notwendiger Baustein für weitere Reformen“, ICIR Policy Letter, August 2021.
Koalitionsvertrag (2021): „Mehr Fortschritt wagen: Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, Bundesregierung, 7. Dezember 2021.
Ludwig, A. (2016): „Das deutsche Rentensystem: Thesen zur derzeitigen Dikussion um „Umkehr“-Reformen“, SAFE Policy Paper No 40.
Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt (2022): „Stabilität sichern, Gestaltungsspielraum bewahren“, inklusive „Eckwerte für 2023“ und „Finanzplan bis 2026“, Bundesfinanzministerium, 16. März 2022.
Rentenversicherungsbericht (2021): „Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung“, Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
[1] Im Haushaltsentwurf ist von diesem vermeintlichen Fonds nicht einmal mehr die Rede, was unterstreicht, dass die Ampel-Koalition die volkswirtschaftlichen Probleme der Bevölkerungsalterung komplett unterschätzt.
[2] Das jährliche Budget der Rentenversicherung betrug im Jahr 2020 etwa 330 Mrd. Euro (Rentenversicherungsbericht 2021).
[3] Um zum Beispiel in schlechten Zeiten das Ersparte anzugreifen.